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Schicksalhafte Seiten: Neue Ausstellung zeigt Bücher verfolgter Jurist:innen in der SLUB Dresden

Seit 2011 überprüft die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden ihren Bestand systematisch auf unrechtmäßig erworbene Bücher aus der Zeit des Nationalsozialismus. Im Rahmen eines von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Projekts wurden in der Bibliothek Bergstraße (ehemalige Zweigbibliothek Rechtswissenschaften) insgesamt 12.000 Bücher untersucht, um herauszufinden, bei welchen es sich um NS-Raubgut handelt.

Erste Ergebnisse werden nun in der Ausstellung „Schicksalhafte Seiten. Bücher verfolgter Jurist:innen in der SLUB Dresden“ gezeigt. Sie stellt im Nationalsozialismus verfolgte Personen und Institutionen vor, deren Bücher in den Bestand der Rechtsbibliothek eingegangen sind – auch anhand biografischer und autobiografischer Dokumente, die Leben und Verfolgungsschicksale nachzeichnen. 

Die Schau ist vom 21. September 2023 bis zum 20. September 2024 im Interim Bibliothek Bergstraße (ehemalige Zweigbibliothek Rechtswissenschaften) auf dem Zelleschen Weg 21-25 zu sehen und dort montags bis freitags von 9:00 bis 18:00 Uhr im Freihandbereich zugänglich, der Eintritt ist frei. Eröffnet wird die Ausstellung am 20. September 2023 um 19:00 Uhr, Interessierte sind dazu herzlich eingeladen!

100 von 12.000: Geraubte Bücher und das Schicksal ihrer Besitzer:innen

Viele der Bücher in den Regalen der SLUB enthalten Stempel, handschriftliche Namenszüge, Signaturen, Notizen oder ähnliches. Solche Provenienzmerkmale geben Hinweise auf aktuelle oder frühere Besitzer:innen und lassen damit zugleich einen Einblick in deren Schicksale zu, die mit privatem oder beruflichem Erfolg, aber auch mit Verfolgung und Leid verbunden sind. Von November 2021 bis August 2022 hat ein sechsköpfiges Projektteam insgesamt 12.000 Bücher aus der ehemaligen Zweigbibliothek Rechtswissenschaften untersucht und die darin enthaltenen Provenienzmerkmale dokumentiert, um die Vorbesitzer:innen zu bestimmen und so die Bücher zu identifizieren, bei denen es sich um Raubgut aus dem Nationalsozialismus (NS-Raubgut) handeln könnte.

Ausstellungskuratorin Nadine Kulbe: „In unserem Forschungsprojekt geht es um Bücher, die im Nationalsozialismus geraubt, enteignet oder zurückgelassen wurden – aufgrund von Verfolgung aus religiösen, politischen oder ethnischen Gründen. Unsere Aufgabe ist es, solche Bücher durch eine systematische Suche im riesigen Bestand der SLUB Dresden zu finden und Bücher, die geraubt worden sind, an ihre Eigentümer:innen bzw. deren Nachkommen zurückzugeben.“

Das Ergebnis in diesem Fall: Nur etwa zwei Prozent der Provenienzmerkmale in den Büchern der Bibliothek Rechtswissenschaften weisen auf NS-Raubgut hin. Damit sind weniger als 100 der 12.000 untersuchten Bücher als NS-Raubgut zu bewerten. In diesen stecken gleichwohl teils bewegende Geschichten.

Unter anderem fand das Projektteam Bücher des Wiener Juristen Heinrich Klang. Er wurde nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 als Jude verfolgt, in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, er überlebte den Holocaust. Aufgrund seiner Verfolgungsgeschichte sind die Bücher aus seinem Eigentum NS-Raubgut. In einer gemeinsamen Restitution mit sieben weiteren deutschen und österreichischen Bibliotheken konnten am 13. Dezember 2022 insgesamt 25 Werke in 42 Bänden an seine Erb:innen zurückgegeben werden.

Kuratorin Elisabeth Geldmacher war insbesondere vom Schicksal des Strafverteidigers Max Alsberg beeindruckt: „Das verhältnismäßig schlichte Exlibris von Max Alsberg hat das Leben und Schaffen eines prominenten Strafverteidigers der Weimarer Republik aufgeblättert. Alsberg vertrat zum Bespiel den abgedankten Kaiser Wilhelm II. oder Carl von Ossietzky. Zudem veröffentlichte er zahlreiche juristische Schriften und Theaterstücke. Alsberg floh zunächst in die Schweiz und beging im September 1933 Selbstmord. Auch wenn es das nicht direkt erzählt, zeigt das Buch das Verfolgungsschicksal von Alsberg und seiner Familie. Es ist ein weiteres Beispiel für die verschlungenen Verteilungswege von geraubten Kulturgütern vor und nach 1945.“

Die Ausstellung präsentiert die Schicksale der verfolgten Jurist:innen in außergewöhnlicher Weise: In den Regalen der Bibliothek entdecken Besucherinnen und Besucher zwischen aktuellen Büchern aus den Rechtswissenschaften insgesamt 16 eigens hergestellte Kästen voller Karteikarten, auf denen die Biografien und Lebensstationen der Verfolgten nachgezeichnet werden. Ein Audioguide, der über QR-Codes in der Ausstellung abgerufen werden kann, vermittelt zusätzliche Informationen.

Bemerkenswert ist: Keiner der in dieser Ausstellung gezeigten Fälle von NS-Raubgut betrifft Rechtsanwält:innen aus Dresden. Wir wissen auch fast 80 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur nicht, was mit ihren Büchern geschehen ist. In die Universitätsbibliothek Dresden sind sie nicht gelangt. Trotzdem sollen die in Dresden tätigen und aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder ihrer politischen Überzeugung verfolgten Anwält:innen nicht vergessen sein. Die Ausstellung erinnert an sie.

Provenienzforschung an der SLUB Dresden aktuell

Das aktuelle Projekt widmet sich der ehemaligen Universitätsbibliothek der Technischen Universität Dresden (UB), die 1996 gemeinsam mit der Sächsischen Landesbibliothek (SLB) zur SLUB fusioniert ist. Systematisch untersucht werden die Bestände historischer Zweigbibliotheken und dezentraler Standorte: Physik, Chemie, Mathematik, Sport, Marxismus-Leninismus und Architektur sowie die Bibliothek Forstwissenschaft (Tharandt) und die Zweigbibliotheken Medizin und Rechtswissenschaften. Die UB geht auf die Bibliothek der 1828 gegründeten Technischen Hochschule Dresden (TH) zurück. Wie auch die SLB erlitt sie zum Ende des Zweiten Weltkrieges erhebliche Bestandsverluste. Das Hauptgebäude der TH wurde beim Angriff vom 13. Februar 1945 zerstört. 70 Prozent des Buchbestands gingen verloren. Wie in anderen schwer zerstörten Städten bemühte man sich nach dem Krieg mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um einen raschen Wiederaufbau der Literaturversorgung. Dabei wurden auch nach 1945 Bücher aus Beschlagnahmungen und Entwendungen aufgenommen und inventarisiert. Gegenwärtig untersucht das wissenschaftliche Projektteam die Bücher in der Zweigbibliothek Forstwissenschaften, dem dezentralen Standort der SLUB in Tharandt. Anschließend richtet sich der Fokus auf die Bestände nicht mehr bestehender Zweigbibliotheken: Physik, Mathematik, Chemie.

Weiterführende Informationen zur Ausstellung unter www.slubdd.de/schicksalhafteseiten

Kontakt

Annemarie Grohmann
Pressesprecherin SLUB
Telefon: +49 (0)351 4677-342
E-Mail: Annemarie.Grohmann@slub-dresden.de

Karina Iwe
Ausstellungsmanagerin
Telefon: +49 (0)351 4677-580
E-Mail: Karina.Iwe@slub-dresden.de