Grafik- und Künstlerbuchsammlung

Nicht nur Wissenschaftler:innen, auch Künstler:innen widmen sich dem Buch als Ort kreativer Entfaltung. Mehrere tausend Exemplare solch künstlerisch gestalteter Publikationen sind an der SLUB Dresden zu finden. Herzstück ist ein einzigartiger Bestand von Werken der Kunstproduktion der späten DDR.

Was unsere Grafik- und Künstlerbuchsammlung zu etwas ganz Besonderem macht, ist das künstlerische Original. Künstler:innen haben diese Werke selbst entworfen und produziert. Vielfach enthalten sie Originalgrafiken, Siebdrucke, Kupferstiche, Holzschnitte und manchmal auch Handzeichnungen. Nicht selten kamen bei der Herstellung der Bücher untypische Materialien wie Maschendraht und Holz, Wolle oder Filz zum Einsatz. Die Künstlerbücher bestechen durch drucktechnische Raffinesse und aufwendige künstlerische Gestaltung, sodass sie neben dem textlichen Inhalt auch ein visuelles und haptisches Erlebnis bieten.

Was ist ein Künstlerbuch?
Künstlerbücher entstehen seit Beginn der 1960er in ganz Europa und den USA. In ihnen vermischt sich Literatur mit Grafik, Malerei, Fotografie, Objektkunst und weiteren Kunstformen. Zunächst zur Verständigung der Künstler:innen untereinander gedacht, entwickelten sich die Buchobjekte zunehmend zu einer eigenen Kunstform. Sie transportieren konkrete Informationen oder vermitteln ästhetische Werte.

 

Eine Sammlung mit vielen Facetten

Den Kern unserer Sammlung bilden Künstlerbücher und -zeitschriften aus der späten DDR, die wir seit den 1980er-Jahren erworben haben. Vor allem unser Bestand an Publikationen aus der nonkonformen Kunstszene ist in Umfang und Vielfalt einzigartig. Ergänzt wird dieser Kernbereich von kleineren Sammlungen westeuropäischer – vor allem englischer – Künstlerbücher, sowie durch eine Sammlung von rund 300 russischen Künstlerbüchern aus den späten 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Darüber hinaus finden Sie bei uns ausgewählte Plakate Kunst-Ausstellungen mit sächsischem Bezug. Schließlich zählen auch einige von Verlagen veröffentlichte künstlerische Mappenwerke zu unserer Sammlung.

Eine außergewöhnliche Ausgangslage

In den 1980er-Jahren begann die damalige Sächsische Landesbibliothek (SLB), ergänzend zur klassischen kunsthistorischen Fachliteratur auch Bücher und Zeitschriften mit besonderer künstlerischer Gestaltung zu erwerben. Dass es dazu kam, verdanken wir mehreren Ereignissen.

Zunächst wurde die SLB 1982 zur Zentralbibliothek der DDR für Kunst und Musik. Das bedeutete eine erneute Bestätigung des Sammelschwerpunkts zur Bildenden Kunst sowie dessen finanzielle Festigung. Um dem Auftrag gerecht zu werden, dehnte man zu jener Zeit den Bucherwerb auch auf den Bereich originalgrafischer Veröffentlichungen aus, also auf das Quellenmaterial. In der Folge wurden zum Beispiel von den Verlagen herausgegebene originalgrafische Mappenwerke, wie die Reihe Grafik-Edition des Leipziger Reclam-Verlags, systematischer als zuvor erworben.

Den wichtigsten Faktor für den Aufbau der Sammlung stellten allerdings die Künstlerinnen und Künstler selbst dar. Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre kamen junge Kunstschaffende der nonkonformen Künstlerszene auf die SLB zu und boten ihre in Eigenregie hergestellten und veröffentlichten Bücher zum Kauf an.

Seltene Einblicke in die inoffizielle Kunstszene der späten DDR

Das jenseits offizieller Wege entstandene Künstlerbuch war für nonkonforme Kunst- und Literaturschaffende in der späten DDR ein wichtiges Mittel, um sich über die engen Vorgaben der Kulturpolitik hinwegzusetzen. Die Künstlerbücher boten einen Weg, eigene Ideen sowie künstlerische Experimente umzusetzen und diese – wenn auch in überschaubarem Rahmen – zugänglich zu machen. In aller Regel entstanden die Bücher ohne Druckgenehmigung im heimischen Atelier oder in den Werkstätten befreundeter Künstlerinnen und Künstler. Deshalb gab es jeweils nur sehr geringe Auflagen, von manchen Titeln existieren lediglich fünf oder zehn Exemplare. Die so erzeugte Öffentlichkeit war zwar stark begrenzt, und doch ermöglichte dieses Medium den wichtigen Austausch in einem Netzwerk.

Aus diesem Beweggrund boten die Künstlerinnen und Künstler auch der SLB ihre Bücher zum Erwerb an. Selbstverständlich war klar, dass diese nicht für die reguläre Nutzung zur Verfügung stehen konnten – immerhin waren sie Zeugnis einer Szene, die unter Beobachtung stand und die es so gar nicht hätte geben dürfen. Dennoch entschloss man sich in der SLB zum Ankauf der Bücher – und mehr noch: Dieses Sammelgebiet wurde in der Folge aktiv verfolgt und ausgebaut.

Der Beginn der Grafik- und Künstlerbuchsammlung

Zunächst in der Sammlung Seltene Bücher aufgestellt, entwickelte sich der Bestand rasant. Zum einen ist das dem Engagement der zuständigen Kolleginnen und Kollegen in der SLB, zum anderen dem Netzwerk in der Künstlerschaft zu verdanken. Über den Austausch untereinander wurde bekannt, dass die SLB derlei Publikationen sammelt und ankauft. Immer mehr Kunstschaffende, aber auch Galerien aus der ganzen DDR kamen nun auf die SLB zu und boten ihre Werke an. So wurden ab 1985 regelmäßig Mappenwerke und Bücher von der Galerie Oben in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) angekauft, bis 1989 waren es rund 50 Ankäufe. 1987 entstand der Kontakt zu Uwe Warnke, der in Berlin seit 1982 die Zeitschrift Entwerter/Oder herausgab. Als erste Bibliothek hat die SLB eine Fortsetzungsbestellung für diese inoffizielle Zeitschrift eingerichtet, sodass seit damals alle Bände lückenlos erworben wurden.

Bis 1986 fanden rund 200 Bücher und zunehmend auch Künstlerzeitschriften den Weg in die SLB. Sie bildeten den Grundstein unserer Sammlung, die fortan als eigene Literaturabteilung geführt wurde – die heutige Grafik- und Künstlerbuchsammlung.

Neustart und Neuorientierung

Mit der Wende 1989/1990 entfielen die besonderen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen sich das Künstlerbuch in der späten DDR zu einem vielfältigen und kreativ genutzten Medium des künstlerischen Ausdrucks entwickelte. Gleichzeitig gelangten die Werke vermehrt auf den Markt, konnten sie nun erstmals gehandelt werden. Der SLB gelang es in dieser Zeit, viele Lücken zu schließen.

Heute ist die Sammlung ein in diesem Umfang einzigartiges Zeugnis einer kreativen und findigen Publikationstätigkeit sowie eines künstlerischen Gestaltungswillens in einem streng reglementierten kulturpolitischen Umfeld. Nach wie vor bilden Künstlerbücher den Schwerpunkt dieser Sammlung und es kommen nach wie vor relevante Titel dazu.

Nach der Wende gelangten aber auch Künstlerbücher aus anderen Regionen in die Sammlung. Neben der westdeutschen und westeuropäischen Künstlerbuchproduktion stieß vor allem die aktuelle Buchkunst aus Russland auf das Sammlungsinteresse der Bibliothekarinnen und Bibliothekare.

Neue Öffentlichkeit im postsowjetischen Russland der 1990er

Die russischen Künstlerbücher in unserem Bestand stehen den ostdeutschen Werken hinsichtlich ihrer experimentellen Lust am Buch als künstlerisches Objekt in nichts nach. Mehr noch: Viel stärker begreifen sie das Medium des Buchs als Ausgangspunkt künstlerischer Intervention und Neuinterpretation. In unserer Sammlung finden Sie vor allem Werke von Kunstschaffenden aus dem St. Petersburg der postsozialistischen Ära. Ihnen gemein ist die Beschäftigung mit der Literatur der russischen Avantgarde der 1920er-Jahre, die in der stalinistischen Zeit verboten war und nun zur Inspirationsquelle wurde.

Bezeichnend dafür sind die Werke, die von Michail Karasik im Rahmen des Kunstprojekts Charmisizdat entstanden. Das Kunstwort setzt sich aus dem Namen Daniil Charms und dem Wort Samisdat zusammen. Charms war in den 1920er-Jahren ein Schriftsteller und Dichter, der Begriff Samisdat bezeichnet Schriften, die in Zeiten von Veröffentlichungsverbot illegal im Selbstverlag veröffentlicht wurden. Die an Streichholzschachteln erinnernden Werke Oberiu Box, Russkij Dada, Leningradskij literaturnyj andergraund und Litkonstruktivizm stehen beispielhaft für diese Bezugnahme zur russischen Literatur. Jede Box ist einer literarischen Richtung gewidmet und vereinigt von unterschiedlichen Künstlern gestaltete Hefte mit Texten der entsprechenden Schriftsteller.

Heute besitzt die SLUB Dresden eine in dieser Form vermutlich einzigartige Sammlung von rund 300 dieser russischen Künstlerbücher aus der postsowjetischen Ära. Vertreten sind Werke von mehr als zwanzig russischen Künstler:innen, die sich in den 1990er- und 2000er-Jahren kreativ mit dem Medium Buch beschäftigt haben.

Viele weitere interessante Einblicke in die Geschichte unserer Sammlung erhalten Sie im Online-Katalog unserer Ausstellung Der gemeinsame Nenner.

So nutzen Sie unser Angebot

Die meisten Medien der Grafik- und Künstlerbuchsammlung können Sie unter Aufsicht im Lesesaal Sammlungen einsehen. Bei einigen Exemplaren ist es uns aufgrund ihres fragilen Zustands nur bei begründetem Forschungsinteresse möglich, sie Ihnen im Original bereitzustellen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diese Werke digital zu nutzen.

Kontaktieren Sie uns gern!

Falls Sie Fragen zu unserer Kunst-Sammlung haben, eine Ausstellung planen oder sich für eine Leihgabe interessieren, nehmen Sie gern Kontakt mit uns auf.

Ansprechpartnerin:
Simone Fleischer | Tel.: +49 351 4677-333
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