Luther und Herzog Georg
Herzog Georg von Sachsen (1471–1539) hatte zu Anfang seiner Regierungszeit Reformen der Kirche positiv gegenüber gestanden, auch Luthers Forderungen. Zum völligen Bruch kam es nach der Leipziger Disputation von 1519. Nachdem der Augsburger Reichstag für die evangelischen Stände so fatal geendet hatte, gründete sich Anfang 1531 der Schmalkaldische Bund. Luther hatte sich in zwei Schriften – „Warnung an seine lieben Deutschen“ (1531) sowie der „Glosse auf das vermeintliche kaiserliche Edikt“ (1531) – zu Herzog Georgs Missfallen sehr kämpferisch geäußert. Georg bat Luthers Landesherrn, Kurfürst Johann den Beständigen (1468–1532), um Eingreifen. Johanns zurückhaltende Reaktion veranlasste den Herzog, selbst gegen Luther vorzugehen. Seine Schrift „Widder des Luthers Warnung an die Deutschen“ erschien 1531 anonym in Dresden. Allerdings hatte Luther von Georgs Plänen erfahren und seinerseits eine leidenschaftliche Polemik verfasst, die unter dem Titel „Widder den Meuchler zu Dresden“ fast gleichzeitig mit Georgs Schrift erschien. Mit der Bezeichnung „Meuchler“, also Verleumder, ist Herzog Georg gemeint, der jedoch nicht genannt wird.
[1]Herzog Georg der Bärtige von Sachsen und seine Gemahlin Barbara von Polen. Kolorierte Federzeichnung aus dem „Sächsischen Stammbuch“
Signatur: Mscr.Dresd.R.3, Bl.90v/91r
Das sogenannte „Sächsische Stammbuch“ ist eine Sammlung von Bildnissen sächsischer Herrscher. Der Grundstock der Handschrift ist wohl um 1497/1498 angefertigt worden. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde das Stammbuch sozusagen aktualisiert und erfuhr einige Erweiterungen. Jüngeren Forschungen nach gehen die ersten Ergänzungen des Stammbuches, die sich in die 1530er Jahre datieren lassen, auf Georg Spalatin (1484–1545) zurück, in dessen Besitz sich die Handschrift vermutlich befand. Spalatin war am Hof des ernestinischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen als Privatsekretär und Historiograph tätig und auch für die Wittenberger Universitätsangelegenheiten zuständig. Er korrespondierte regelmäßig mit Luther.
[2] Martin Luther: Druckmanuskript [Fragment] seiner Schrift „Widder den Meuchler zu Dresden“, 1531
Signatur: Mscr.Dresd.A.155,Bl.68–75v, hier Bl. 73v/74r
In dem prachtvollen Einband mit dem Wappensupralibros Kurfürst Augusts sind zahlreiche Manuskripte von Luther-Schriften überliefert, u.a. die „Vermahnung an die Geistlichen, versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg“ von 1530, aber auch ein Bruchstück der gegen Herzog Georg gerichteten Schrift „Widder den Meuchler zu Dresden“. Die aufgeschlagene Seite zeigt mit ihren Streichungen und Überschreibungen eindrucksvoll den fast wütend anmutenden Schreibprozess.