Reisetagebuch von Johann Andreas Silbermann

Im November 2014 gelang es der SLUB Dresden, beim Londoner Auktionshaus Sotheby’s ein bis dato unbekanntes Reisetagebuch des Straßburger Instrumenten- und Orgelbauers Johann Andreas Silbermann (1712-1783) zu ersteigern. In den „Anmerckungen derer Auf meiner Sächsischen Reyße gesehenen Merckwürdigkeiten“ beschreibt der Neffe des Freiberger Orgelbauers Gottfried Silbermanns seine von Februar bis Juni 1741 unternommene Reise, die ihn unter anderem durch Gotha, Leipzig, Dresden, Freiberg, Zittau und Berlin führte.

Nachdem ich mir schon längstens eine Reyße in Sachsen zu thun vorgenomen, solche aber von einer Zeit zur andern aufschieben müßen wegen beständiger vielen bestellten arbeit so habe mich dem ungeacht endlich entschlossen, ein paar monat daran zu wenden

Am Dienstag, den 21. Februar 1741 beginnt für Johann Andreas Silbermann, Sohn von Andreas und Neffe von Gottfried Silbermann, eine lang ersehnte Reise nach und durch Sachsen. Auf den Spuren seiner Familiengeschichte, der Vater stammte aus dem Frauensteiner Land, mit feinem Gespür für kulturhistorische Besonderheiten der Gegend – Kunst und Architektur, Geschichten und Mythen, gesellschaftliche Umstände – aber ebenso großer Neugier seinem eigenen Metier, dem Orgelbau, gegenüber erfährt er in den kommenden Wochen das Land und hält seine Eindrücke in lebhaften Schilderungen in seinem Reisetagebuch fest.

Die Anfahrt geschieht rasch und ohne großen Zeitverlust. Silbermann nimmt die Durchgangspost, oft auch die Extrapost und kommt schnell voran. Doch trotz des Drangs, nach Sachsen zu gelangen (nächtliche Pausen werden nur zwischen Mitternacht und vier Uhr eingelegt), und ungeduldig erlittener Reiseverzögerungen wegen des Winterwetters bleibt tagsüber doch Zeit, einige Orte näher zu besehen und zu beschreiben: in Heidelberg, Frankfurt und Fulda absolviert er ein touristisches Programm, das städtische Sehenswürdigkeiten, Schlösser, Kirchen und natürlich Orgeln enthält:

Ich ließ mir auch die Orgel weisen, solche ist vor 30 Jahren von einem franciscaner angefangen worden, weilen er aber darüber gestorben, so machte sie Hoffmann Orgelmacher von Würtzburg aus, sie ist hin und wieder recht seltsam angeordnet

Gotha und Leipzig

In Thüringen und Sachsen angelangt, verringert Silbermann das Reisetempo und nimmt sich viel Zeit, Menschen, Bräuche und „Merckwürdigkeiten“ der Gegend zu studieren. Der Besuch von Kirchen und Schlössern – über den jeweiligen Bettmeister erhält Silbermann Einblicke und Erklärungen – geht mit detaillierten Beobachtungen einher: Gestaltung, Materialien, Farben, Maße, Aufwendungen wie Bau- und Unterhaltungskosten, Bauzeiten etc. der äußeren wie inneren Erscheinung registriert und dokumentiert er. Eisenach findet er die Regierung der Schloßkirchen-Orgel in entsetzlicher Confusion vor, obwohl sie gerade erst renoviert worden sei, auf der Wartburg wird er an der Bettlade der Markgräfin Elisabeth, einem Modell der Festung Grimmenstein und in das Luther-Zimmer geführt und wundert sich über die Kleidung der Damen:

Die tracht der Weibsleuthe siehet recht alber aus, sie lauffen alle mit schwartzen Mändeln /: es mag regnen oder nicht:/ wie in Strasburg die gardner haben, und meistens baarfuß, auf den Köpfen haben sie dicke peltzkappen

Gotha gefällt ihm ausgesprochen gut, Schloss Friedenstein fasziniert ihn ebenso wie die Margarethenkirche, die großen Fensterscheiben in den Stadthäusern, die besser gekleideten Frauen, die nächtliche Straßenbeleuchtung:

hier wie auch in Eisenach seyn fast alle 60 schritt 3 eckigte blecherne laternen, welche des nachts angezünden werden.

In Erfurt probiert er schwarzen Rettich, Halle erstaunt ihn mit seinen Türmen, dem großen Waisenhaus und preußischen Spuren allerorten. Schließlich kommt er am 6. März nach Leipzig – nicht ohne bei der Ankunft um 10 Uhr abends einen Sächsischen Groschen Sperrgeld am Tor zu zahlen. Hier hält er sich etwas länger auf, lernt G. A. Homilius als jungen Schüler kennen und erhält durch ihn Zutritt zwar nicht bei Bach, der aus unbekannten Gründen nicht aufgesucht wird, aber – inkognito – bei Johann Scheibe:

nachdem giengen wir gegen die Pauliner kirch zu H Schaibe dem Orgelmacher als dem Meister dieses Wercks. H Emilius ersuchte ihn sehr höfflich ihm den gefallen zu erweisen und sein werck sehen zu machen, wie ungern er aber daran gieng hörte ich haußen vor dem zimer mit größter ungedult, endlich kamen sie doch miteinander zuvor aber bath mich H Emilius um Gottes Willen mich nicht zu erkennen zu geben wer ich wäre, ich muste derohalben einen anderen Nahmen annehmen

Freiberg

Am 10. März verlässt Silbermann Leipzig, um in Freiberg seinen Onkel Gottfried Silbermann aufzusuchen, einen leiblichen Bruder des Vaters, mit dem ihn nicht nur die Familie, sondern auch die Profession verbindet. Als er endlich anlangt, trifft er ihn allerdings nicht an. Beim Frisieren erzählt der Perückenmacher, dass Herr Krause, ein enger Freund des Onkels, sich um dessen Angelegenheiten während der Abwesenheit kümmere und von Krause schließlich erfährt Silbermann, dass sein Onkel in Zittau eine neue Orgel baue und deshalb für längere Zeit dort Quartier bezogen habe.

Auch wenn Silbermann schnell nach Zittau weiter will, lässt er sich doch von seinem Vetter Abraham überreden, ein paar Tage in Freiberg zu bleiben, besucht die dortigen Kirchen, fährt in ein Bergwerk ein, bewundert die „Ausstellungsstücke“ im Schloss und erfährt auf seinen Besichtigungen etliches aus der Freiberger sagenhaften Geschichte, z.B. die Historien vom Ende Kunz von Kauffungens oder vom angewurzelten Sohn Lorentz Richters. Im Gottesdienst registriert er die – vor allem musikalischen – Abläufe, und er versäumt natürlich nicht, die Orgeln seines berühmten Onkels sehen und hören zu können. Schließlich drängt es ihn aber fort und von Abraham begleitet, fährt er zunächst nach Dresden zu einem weiteren Vetter, Michael. Mit dem Versprechen, auf der Rückreise länger in Dresden Station zu halten, bricht Silbermann nun ohne Verzug in Begleitung Michaels endlich nach Zittau auf.

Zittau

Am 18. März treffen Johann Andreas und Michael Silbermann in Zittau ein. Für sechs Wochen wird Silbermann „Logament“ bei seinem Onkel Gottfried im „Waisenhaus“ nehmen, mit ihm „amusirt“ er sich „beständig in sachen die unsere Kunst betraff“. Er wird mit den Honoratioren der Stadt bekannt und unternimmt Ausflüge in die Umgebung.

In der Lausitz besucht er Webstuben und wird dank verwandtschaftlicher Beziehungen der Zittauer Bekanntschaft in die durch königliches Dekret geheime Webkunst eingeführt, in Görlitz schimpft er über die confuse Orgel, die schon der berühmte Bach zu recht eine Pferds-Orgel genannt habe, das dem Jerusalemer Original nachempfundene Heilige Grab interessiert ihn derart, dass er eine bebilderte Beschreibung dem Tagebuch beifügt.

Und wie sehr ihm Zittau selbst in dieser Zeit ans Herz wächst, zeigt sich mehr noch als in den tagesaktuellen Beschreibungen der Stadt an unzähligen in das Tagebuch eingeklebten Stichen, einem Foto- oder Postkartenalbum gleich, die er etliche Jahre später einleitend kommentiert:

Diese schöne Stadt ist im Jahre 1757 vom 19. biß den 23. July, durch Feuer einwerffen von den Österreichischen welche dieselbe belagerten biß auf 120. Häußer verbrant worden. Wobey 89. Persohnen die sich meistens in den Keller solvirt mehrentheils vom Danmpf erstickt und umgekomen sind.

Berlin

Nach einem tränenreichen Abschied aus Dresden führt Silbermanns Weg über Wittenberg, wo er mit großem Interesse die Schlosskirche besucht und beschreibt, nach Berlin. Am 30. Mai trifft er dort ein und wird sofort von den Attraktionen der Stadt ergriffen: neben Kirchen ist es das Schloss, das ihn in seinen Bann zieht. Die Prunkräume, Rüstkammer, Anatomie, das Kuriositätenkabinett erregen ebenso seine Aufmerksamkeit, wie die Königliche Bibliothek mit einer Büchermaschine:

Ich sahe zugleich eine courieuse invention von einem pult, worauf man wohl 18 folianten stellen kan und solcher sich auf eine so bequeme art [bewegen] kan, ohne daß man nötig hat wo man davor sitzt von seinem platz auf zu stehen, Es bestehet aber diese Maschine aus zweyen großen scheiben da jede  über den diameter wohl 4 schu haben wird, zwischen diesen zweyen scheiben seyn an der Circumferenz herum etwan 6 lange pult gemacht, da man auf jedes wohl 3 folianten stellen kan, diese maschine nun kan man wan auf allen pulten bücher liegen hat, ringsherum trähen und blieben die pulte vermittelst verborgenem räderwerck welches sich in der einen scheibe befindet, beständig aufrecht.

Ausführlich beschreibt er auch den Besuch eines Gottesdienstes in der Synagoge:

Ehe man mitten hinein kombt, steht eine pallustrate vor, ich traute anfangs nicht hinein zu gehen es war ein große menge Juden darinnen, welche ein grausames gemauschel führten. Sie machten mir aber auf und hießen mich nur frey hierin gehen.

In der mitte war ein hoher Cadeter worauf zu beyden Seiten 5 stuffen gehen es waren beständig nebst dem Rabiner 6. 7. biß 8 Juden daroben welche mit singen abwechselten.

An der Wand stehet ein hoher Altar nach der architectur und sauber gefast und vergold. Es gehet ein treppe etwan 6 stuffen zu allerheiligste hinauf da der Vorhang ist. Der Rabiner gienge hinauf, und langte dahinter, die Zehengebote hervor, es wurde mir fast angst und bang was da die Juden vor ein lermen vorführet als der Rabbi dieselben hervorbrachte es war alles nebst dem grausamen geschrey in größter Bewegung

Eine Sensation ist schließlich die Begegnung mit dem „großen Engländer“ Kirkland, der zur großen Regiment Garde Friedrich II. gehörte. Als Erinnerung erwirbt Silbermann einen Stich, den er seinem Tagebuch beifügt.