Wunderzeichen als Quell religiöser Feindbilder – Das Mönchskalb in den konfessionellen Auseinandersetzungen der Reformationszeit

Lisa-Marie Richter: Kat. Nr. 46–49

Am 8. Dezember 1522 wurde bei Freiberg ein entstelltes Kalb geboren. Die Missgeburt, so hieß es, habe Ähnlichkeit mit einem Mönch: Der kahle Schädel erinnere an die Tonsur, das Fell an das zerrissene Ordensgewand. Zu den frühsten Flugblättern, die von der Geburt berichten, zählt das Blatt Dis wunderlich Thier (1522 oder 1523), das aus einer reich kolorierten bebilderten Beschreibung der Wundergeburt besteht (Kat. Nr. 46). Rasch wurde das Mönchskalb jedoch zur Waffe in den reformatorischen Auseinandersetzungen: Martin Luther deutete es in seiner berühmten Schrift Das Munchkalb zu Freyberg (1523) als Warnung Gottes vor den widergöttlichen Lehren der Mönche und rief zum Austritt aus dem Kloster auf. Besonders die von Lucas Cranach stammende Titelillustration der Schrift (Kat. Nr. 47), die das Mönchskalb in Predigerpose abbildet, wurde in der Reformation vielfach als Kampfbild gegen die verhasste monastische Lebensform abgedruckt und gehört noch heute zu den bekanntesten Bildern der Reformationszeit.

Auch andere Anhänger Luthers setzten das Mönchskalb ein, um gegen das Mönchtum Stimmung zu machen und dieses als Feindbild zu etablieren. So imaginiert etwa die satirische Flugschrift Im landt zü Meyssen bey freyburg (1523)aus der Werkstatt des Augsburger Druckers Melchior Ramminger (Kat. Nr. 49) die Vernichtung des verhassten Standes, da dieser grundlegend vernunftlos, verblendet und verdorben sei. Die Wundergeburt decke entsprechend den wahrhaften tierischen Körper der Mönche, den sie unter ihrer Kutte verstecken, auf.

Auch die altgläubige Seite hat sich um Instrumentalisierung der Missgeburt für die eigene Sache bemüht. So entstanden Schriften, die das Mönchskalb als göttliche Offenbarung über das ketzerische Wirken des fehlgeleiteten Mönches Luther interpretieren. Hierzu zählt etwa Johannes CochlaeusAdversus Cucullatum Minotaurum Wittenbergensem (1523), welche das Mönchskalb mit der antiken Mythologie des Minotaurus verbindet und Luther als menschenfressenden kapuzentragenden wittenbergischen Stier schmäht. Allerdings erreichten die zumeist lateinischsprachigen altgläubigen Interpretationen des Mönchkalbes – anders als die deutschsprachigen, knappen und zudem illustrierten Deutungen der Reformatoren, die sich am Gattungsformat der Wunderzeichenliteratur orientierten – nur ein kleines Publikum. Daher scheiterte die Vereinnahmung der Missgeburt für die Erzeugung eines Feindbildes durch die Altgläubigen und der Deutungskampf wurde von den lutherischen Reformtoren dominiert, die die sensationsaffine Gattung der Wunderzeichenliteratur für ihre Zwecke zu nutzen wussten.

Erst dem Franziskaner und Kontroverstheologen Johannes Nas gelang es mit seiner Ecclesia Militans (1569/1588, Kat. Nr. 49 [NA 1569]) in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, das Mönchkalb publikumswirksam gegen die Reformation in Szene zu setzen, indem er es in einen apokalyptischen Kriegszug evangelischer Missgeburten gegen die heilige Kirche integrierte.

Literatur

Jochen Berns: Wunderzeichen am Himmel und auf Erden. Der frühneuzeitliche Prodigiendiskurs und dessen medientechnische Bedingungen, in: Herbert Jaumann, Gideo Stiening (Hgg.): Neue Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Berlin, Boston 2016, S. 99–161.

Albrecht Dröse: Von Vorzeichen und Zwischenwesen. Transformationen der Prodigiendeutung bei Brant und Luther, in: Sebastian Möckel, Werner Röcke (Hgg.): Grenzen der Antike. Die Produktivität von Grenzen in Transformationsprozessen. Berlin, New York 2014, 117–144.

Hartmann Grisar, Franz Heege: Luthers Kampfbilder III. Der Bilderkampf in den Schriften von 1523 bis 1545. Freiburg im Breisgau 1923.

Robert Scribner: For the Sake oft the Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation. Oxford, New York 1981, 1994, 2004.