Der Modus der Unversöhnlichkeit. Wahlplakate in der Weimarer Republik
Silke Fehlemann: Kat. Nr. 66–71
Die Weimarer Republik wurde in doppelter Weise durch Gewalt geboren: Sie war einerseits ein Ergebnis der Kriegsniederlage und andererseits das Produkt der Novemberrevolution und des blutigen Niederringens der Aufstände von 1919. Das Erbe dieser Entwicklungen bestand in einer gewaltbereiten Sprache und Bildkultur. Zudem waren die ersten Jahre der Republik durch eine neue Welle eines aggressiven Antisemitismus gekennzeichnet, insbesondere radikale völkische Gruppen verbreiteten tradierte Gerüchte von einer „jüdischen Weltverschwörung“ (Kat. Nr. 68). Der Antisemitismus erhielt zusätzliche Nahrung durch die Diskussion über die Weltkriegsteilnahme der jüdischen Bevölkerung, da immer wieder (fälschlicherweise) behauptet wurde, jüdische Männer hätten in zu geringer Zahl an der Front gekämpft.
Die vorgestellten Wahlplakate (Kat. Nr. 66; 67; 69) zeigen ausgewählte invektive Symboliken. Hier werden Dynamik und Ästhetik von gewaltförmigen Darstellungen in der jungen Republik deutlich. Mit aggressiven oder kriegerischen Illustrationen wurde an die ikonographische Bildtradition der Kriegspropaganda angeknüpft und der Wahlkampf als „Krieg“ gedeutet. Die Fortführung des häufig zitierten „Krieges in den Köpfen“ wurde so auch illustrativ wirkmächtig. Die bildliche Ästhetik der Gewalt fand sich auch in der politischen Sprache der Weimarer Republik wieder: Politische Konkurrenten werden als Feinde geschmäht, gegen die die eigene Anhängerschaft zu einem Abwehrkampf aufgerufen wird. Sowohl bildlich wie auch sprachlich kann dieses Phänomen durchaus als Modus der Unversöhnlichkeit beschrieben werden, der sich aber vorwiegend bei den demokratiefeindlichen Parteien findet.
Offenbar konnten Kampfmetaphern und invektive Bilder vor allem in der Frühphase der Republik die Kriegspropaganda aufnehmen und weiterführen. Das Medium „Plakat“ hatte durch die Verbreitung der Litfaßsäule schon in den Vorkriegsjahren seinen Siegeszug angetreten. Hinzu kamen eine zunehmende Bedeutung illustrativer Werbung und damit einhergehend der Aufstieg der Werbewirtschaft. Zahlreiche Wahlplakate wurden von durchaus namhaften Graphikern gestaltet. Diese Faktoren ließen vor allem die zwanziger Jahre zu einer Dekade des Plakates werden. Dabei waren längst nicht alle Wahlplakate in den Wahlkämpfen der Republik invektiv gestaltet. Ganz im Gegenteil: Bei einer vergleichenden Analyse der Wahlplakate der 1920er und 1930er Jahre wird deutlich, dass in den frühen Jahren der Republik vor allem die radikaleren Parteien invektive Symboliken verwendet haben, während die Parteien der sogenannten Weimarer Koalition, also SPD, DDP und Zentrum, eher friedlich und hoffnungsfroh besetzte Bilder verwendeten. Das änderte sich gegen Ende der zwanziger Jahre. In der letzten, bürgerkriegsähnlichen Phase der Weimarer Republik begann auch die Sozialdemokratische Partei häufiger gewaltförmige Darstellungen auf ihren Wahlplakaten zu verwenden (Kat. Nr. 7), während sich die Nationalsozialisten nun etwas zurückhielten und mit ihrem Graphiker Hans Schweitzer („Mjölnir“) seit Mitte der 1920er Jahre neben antisemitischen Schmähungen auch Idealisierungen eines nordischen Hünen zeigten.
Schmähungen wurden also ganz strategisch zur Mobilisierung eingesetzt, aber auch durch positive Heldendarstellungen ergänzt, die ebenfalls eine dynamische Gewaltästhetik verkörperten. Aber auch die ältere Motivik lebte weiter, wie das Plakat Den letzten Stoß! von 1932 (Kat. Nr. 71) belegt, auf dem deutlich wird, dass neben der Sozialdemokratie und der KPD das Zentrum zu den Hauptgegnern der NSDAP gehörte.