Jörg Herchet
Eine besondere Beziehung zur Musikabteilung der SLUB
Während seiner Studienzeit nutzte Jörg Herchet den Bestand der Bibliothek intensiv. Hier bekam er Literatur, die man im Buchhandel der DDR nicht kaufen konnte. In Dr. Wolfgang Reich, dem Leiter der Musikabteilung von 1960 bis 1992, fand er einen für sich angemessenen Gesprächspartner zu den Themen, die ihn bewegten, wie Komposition, Philosophie und Theologie. Karten und Briefe von Herchet an Reich, die in der Handschriftensammlung aufbewahrt werden, sind Zeitzeugnisse dazu. Im Komponistenarchiv der SLUB sind fast alle Kompositionsautographe von Jörg Herchet archiviert. Wolfgang Reich kaufte zahlreiche Werke Herchets für die Musikabteilung. Einmal ging es um den Aufbau des Komponistenarchivs, aber auch um die Förderung junger Komponisten, die aufgrund ihrer Biographie keine realen Chancen in der DDR hatten. Durch Vermittlung von Wolfgang Reich konnten nach 1980 einige Werke von Herchet in Westdeutschland aufgeführt werden. Er verlebte nach 1980 Studienaufenthalte im Komponisten-Seminar in Boswil (Schweiz). Das war sein Einstieg in die europäische Musikszene. Es folgten zahlreiche Uraufführungen im In- und Ausland. Ein Werkverzeichnis enthält Christoph Sramek`s Publikation „Die Töne haben mich geblendet“ - eine Festschrift zum 60. Geburtstag von Jörg Herchet.
Manfred Weiss und Paul Dessau - seine verehrten Lehrer
Jörg Herchet studierte Komposition bei Manfred Weiss und war Meisterschüler von Paul Dessau. „die fähigkeit [von Paul Dessau], neue partituren zu erfassen, war ebenso außergewöhnlich wie die fähigkeit, das pädagogisch richtige Wort zu finden. schon beim ersten durchlesen bemerkte er kleine schreibfehler ebenso wie inhaltliche, also formelle mängel. doch auch loben konnte er. unvergeßlich, wie er bei einer komposition plötzlich langsamer las und anerkennend fragte: ‚wie lange haben sie denn an dieser stelle gearbeitet?’ tatsächlich hatte ich für diese 10 takte über drei wochen gebraucht. nach meiner letzten meisterschülerstunde verabschiedete er mich: ‚und jetzt kommen sie als freund des hauses’. gerade die einheit von mensch und musiker hatte mich schon bei meinen ersten besuchen tief berührt, ja entscheidend beeinflusst.“
jörg herchet
Jörg Herchet und Paul Klee
1964 kam Jörg Herchet erstmalig in Berührung mit der Malerei von Paul Klee, die in der DDR offiziell kein Interesse erfuhr. Maßstab für die Bildende Kunst der DDR war ausschließlich der Sozialistische Realismus. In der Sächsischen Landesbibliothek, der heutigen SLUB, befasste sich Herchet mit den Bildern und theoretischen Schriften von Paul Klee. So wurde der Künstler für Herchet ein indirekter Lehrer für seine Kompositionsstudien.
„Dreitacte im Geviert“. „Der Dreitact“ löst den Schachbrettcharkter auf und verwandelt den Entwurf in ein musikalisches Ereignis. Hat Klee an Bach gedacht, den er frühmorgens spielte, wenn er sich in Form bringen wollte.
Foto: Archiv Lang
Kompositionsanliegen
"also ich wünschte, daß in aller meiner arbeit das ‚soli Deo gloria‘ empfunden wird. ich unterscheide nicht zwischen geistlichen und weltlichen werken. ich würde die aufgabe des künstlers, also meine persönliche aufgabe darin sehen, daß man das sinnliche durchsichtig macht für das ewige. wenn ich „religiös“ sage, dann denken wahrscheinlich viele menschen: aha, das ist also das, was man heute unter fromm versteht. sie wären entsetzt, wenn sie merken, was ich darunter verstehe. sie sind`s ja auch oft, wenn sie musik hören."
"also für mich ist ‚religio‘ vor allem ehrfurcht. da ich aber mein ganzes leben nur begreifen kann als einen weg zu Gott hin – wo ich da stehe, und sicher stehe ich noch sehr fern, das wäre eine andere frage. aber vielleicht ist auch das wichtigste dieses bemühen, zu Gott zu gehen und ihm näher zu kommen. ein bemühen, das von uns aus, von mir aus ohnedies keinen erfolg hat, das nur dann verwirklicht wird, wenn Gott uns entgegenkommt. ich würde meine musik als eine sehnsucht nach Gott empfinden."
"die größten werke entstehen, wo in der strengsten ordnung sich fruchtbarste und erhabenste freiheit auftut. Bach unterwarf sich der ordnung des kontrapunkts sowohl als der harmonik und gehorchte ihrem doppelt strengen gesetz: und schuf das freieste werk. (...) nach Bach ist es erst wieder Arnold Schönberg, der die probleme des kompositionsunterrichts für sich und seine schüler löst."
jörg herchet
Christoph Sramek über Jörg Herchet
„Für den sozialistischen Realismus taugten schon seine frühesten Werke nicht. Jörg Herchet ist immer angeeckt, nicht nur ästhetisch. Zum Vorzeigekomponisten ist er auch nach der Wende nicht geworden, auch wenn seine Kompositionen heute ein breites Echo finden. Allzu erschreckend wirkt vieles beim ersten Hören: Schlagzeugbatterien und Sirenen einer Marien-Kantate, die Kontrastierung von Gregorianischem Choral und Technomusik in einem Orgelstück. Der Bruch zwischen Kirche und Welt belastet den Dresdner, der ganz ohne Attitüde unter seine Werke das „Soli Deo Gloria“ setzt.“ „Seit seinem ersten Orgelunterricht in Dresden-Plauen, seiner Registranten-Tätigkeit bei Herbert Collum und vor allem seit seinen direkten Begegnungen mit der großen Orgel der Dresdner Kreuzkirche schwärmt er für dieses Instrument: ,ich fand das wundervoll, so allein zu sein und ein ganzes orchester zur verfügung zu haben. – die orgel ist mir das liebste instrument geworden. ich habe am meisten dafür geschrieben’.“
Christoph Sramek (Hrsg.) „die töne haben mich geblendet“. Festschrift zum 60. Geburtstag des Dresdner Komponisten Jörg Herchet. Verlag Klaus-Jürgen Kamprad. Altenburg 2003.
Christoph Sramek (Hrsg.) „im lichtstrom versunken nun sonnenhaft“. Dokumente zum Schaffen des Dresdner Komponisten Jörg Herchet. Verlag Klaus-Jürgen Kamprad. Altenburg 2013.
Autographe Kompositionen von Jörg Herchet in der SLUB (Auswahl)
70 Kompositionen von Jörg Herchet befinden sich im Archiv für zeitgenössische Komponisten der Musikabteilung. Sämtliche Notenhandschriften sind im RISM Online-Katalog nachgewiesen.
Herchet bedient sich verschiedener musikalischer Gattungen - vorrangig geistlicher Vokalwerke sowie Opern und Instrumentalwerke.
Herchets Kompositionen aus der Zeit von 1966 bis 2010:
1966 „mitte des lebens“
1971 komposition für flöte solo
1976 komposition für flöte und orchester
1978 seligpreisungen
1979 bußkantate
1980 komposition für horn und orchester
1985 komposition 1 für orgel
1987 nachtwache
1992 das geistliche jahr mariens heimgang
1996 abraum
1998 namen gottes
2005 pfingstkantate
2011 das geistliche jahr kantate zum erntedankfest
Briefe von und an Jörg Herchet in der SLUB
Aus den Jahren 1977 bis 1978 gibt es Karten und Briefe in der SLUB von Jörg Herchet an Dr. Wolfgang Reich, dem damaligen Leiter der Musikabteilung. Hans Werner Henze schreibt 1979 zwei Briefe an Jörg Herchet aus Marino (Italien).
Zur Recherche in den Handschriftenkatalogen
Wolfgang Reich verhalf Jörg Herchet zur Edition seiner „komposition für flöte und orchester“.
„und indem mir sehr deutlich bewusst wird, dass ich ja gerade diese erweiterung - sowohl jetzt in leipzig beim verlag wie auch in köln – ihnen zu verdanken habe, steht mir wiederum sehr eindrucksvoll vor augen, wie wenig ein mensch, ein künstler, in sich ein abgeschlossenes zu sein vermag. wie vieles verdanke ich den anderen menschen…“ jörg herchet
Brief von Werner Henze an Jörg Herchet vom 8. September 1979
„grössten vertrauens in Ihre arbeit, Ihre aufgaben, Ihre akzeptierung der pflichten, der gesellschaftlichen, historischen verpflichtung, die darin besteht ein junger deutscher in Dresden vor 1979 zu sein, und ein meisterschüler von Paul Dessau. In Ihren händen liegt ein großer teil der Verantwortung für die zukunft der deutschen musik, dies sage ich Ihnen als handwerker und ohne jeglichen pathos.“
Werner Henze
Weitere Medien von Jörg Herchet in der SLUB
Notendrucke, Bücher, Zeitschriften, Tonträger sowie Aufsätze recherchieren Sie im SLUB Katalog.
Schüler von Jörg Herchet (Auswahl)
Reiko Füting über seinen Lehrer Jörg Herchet: „Eines von vielen Dingen, die ich an meinem Lehrer und Freund Jörg Herchet bewundere, ist seine Gabe, große Bögen scheinbar mühelos und auf natürlich - zwingende Weise zu spannen. Dieses Denken in großen Dimensionen offenbart sich in seinem Werk, und es offenbart sich in seinem Leben. Die Konsequenz, die dieser Eigenschaft innewohnt, ist eine seltene Besonderheit.“
Thomas Bonhoff, Michael Flade, Reiko Füting, Jorge García del Valle Méndez, Eva-Margarita Geißler, Martin Hecker, Yong-Woo Jin, Dong-Hak Kim, Eun-Sun Lee, Alexander Morawitz, Johannes Motschmann, Torsten Reitz, Bernhard Schneyer, Karoline Schulz , Dr. Lydia Weißgerber, Alwyn Westbrooke u.a.
Erfolge im Ausland
Einige Vorträge in Mexiko, Japan und den USA erhöhten sein internationales Ansehen.
Am 2. April 2013 erfolgte die Uraufführung der „kantate zum fest unserer Frau von Guadalupe“ in der Kathedrale von Puebla (Mexiko) mit Dr. Christfried Brödel als Dirigent. Komponist und Textdichter waren vor Ort.