Geschichte des Stammbuches
Die Geschichte des Stammbuches beginnt zur Zeit der Reformation an der Universität Wittenberg. Studenten legten ihrem Lehrer eines seiner gedruckten Werke vor und baten ihn um einen Eintrag. Dabei waren die Widmungen der in Wittenberg lehrenden Humanisten wie Luther und Melanchthon sehr beliebt. Fast zur gleichen Zeit wurde es in Adelskreisen üblich, Besucher um einen Eintrag in ein Buch aus dem Besitz des Gastgebers zu bitten.
Später führte man auf Reisen kleine schmale Bücher mit Leerseiten mit sich und bat Reisebekanntschaften, Kommilitonen und Freunde um einen Eintrag. Es entstand daraus das für Stammbücher übliche Queroktavformat, welches eine bequemere Auflagefläche für die Hand bot und sich für Bildbeigaben besser eignete.
Von Anfang an begann der Einträger häufig mit seinem persönlichen Wahlspruch, den man später durch ein Motto ersetzte, welches sich nun auf den Stammbuchhalter bezog. Verwendet wurden überwiegend dem zeitgenössischen Bildungskanon entsprechende Zitate, um Ort und Datum ergänzt.
Zudem versah man häufig den Eintrag mit einem Bildschmuck, anfangs meist das Wappen des Einträgers oder auch kleine Kostümfiguren. Später kamen Genrebilder in Mode, die sich mythologischer Themen bedienten oder auch topographische Ansichten, welche fast immer Bezug auf den Eintrag nahmen. In vielen Fällen waren es Miniaturmaler, die solche Illustrationen im Auftrage des Einträgers anfertigten.
Wie in vielen anderen kulturellen Bereichen führte der 30jährige Krieg auch beim Stammbuchbrauch zu einer Zäsur. Erst ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts erlebte das Stammbuch im sogenannten Zeitalter der Empfindsamkeit, mit seinem neuen Freundschaftsideal, und der nachfolgenden Romantik mit dem Wunsch nach einer idealisierten Welt eine Renaissance, die bis in das 19. Jahrhundert anhielt.
Es entfaltete eine ungeheure Breitenwirkung, die über die ursprünglich studentischen und adligen Kreise hinausging. Die Verwendung klassischer Sprachen ging zurück, anstelle der Zitate finden sich eigene Texte und die Gestaltung der Illustrationen erfolgte zunehmend durch die Einträger selbst. Neben Aquarellen, Zeichnungen und Gouachen finden sich auch Stickereien oder geflochtene Haarkränze. Anstelle des gebundenen Stammbuches wurden auch Sammlungen loser Blätter in Stammbuchkassetten üblich.
Ab dem 20. Jahrhundert bürgerte sich der Begriff Poesiealbum ein, welches hauptsächlich von Kindern geführt und später von vorgedruckten Freundschaftsbüchern ersetzt wurde, in dem vorformulierte Fragen zur eigenen Person beantwortet werden. Die eigenhändigen Illustrationen wurden durch die "Stammbuchblümchen" genannten Papieroblaten und später durch Fotografien ersetzt.
Einführende Literatur (Auswahl)
Hess, Gilbert: Literatur im Lebenszusammenhang. Text- und Bedeutungskonstituierung im Stammbuch Herzog Augusts des Jüngeren von Braunschweig-Lüneburg (1579-1666). Frankfurt/M. u.a. 2002 (Mikrokosmos, 67). Link zum SLUB-Katalog.
Kurras, Lotte: Zu gutem Gedenken. Kulturhistorische Miniaturen aus Stammbüchern des Germanischen Nationalmuseums 1570-1770. München 1987. Link zum SLIB-Katalog.
Loesch, Perk: Der Freundschaft Denkmal. Stammbücher und Poesiealben aus fünf Jahrhunderten im Bestand der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Dresden 2003. Link zum SLUB-Katalog.
Ludwig, Walther: Das Stammbuch als Bestandteil humanistischer Kultur. Das Album des Heinrich Carlhack Hermeling (1587-1592). Göttingen 2006 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Klasse, 3. Folge, 274). Link zum SLUB-Katalog.
Schnabel, Werner Wilhelm: Das Stammbuch. Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2003 (Frühe Neuzeit, 78). Link zum SLUB-Katalog.
Taegert, Werner: Edler Schatz holden Erinnerns. Bilder in Stammbüchern der Staatsbibliothek Bamberg aus vier Jahrhunderten. Bamberg 1995. Link zum SLUB-Katalog.
Eine umfassende Bibliographie zum Thema finden Sie auf der Seite Repertorium Alborum Amicorum, dem Stammbuchverzeichnins der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.