Der bewahrte Blick – Film- und Tonschätze aus Sachsen
Amateur- und Reisefilme, ethnografische Studien und experimentelle Kunst - viele Filme und Tonaufzeichnungen entstanden in Sachsen abseits einer großen Öffentlichkeit. Diese Ausstellung widmet sich dem oft übersehenen Kino des Alltäglichen.
SLUB Dresden ǀ Corty-Galerie & Schatzkammer ǀ 20. April 2023 bis 6. Januar 2024
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag, 10–18 Uhr ǀ Samstag, 14–18 Uhr
Veranstaltungshinweis für den 30.11.2023, 19 Uhr, SLUB Dresden, Klemperer-Saal: Das Alltägliche als das Besondere.
Amateur- und Reisefilme, ethnografische Studien und experimentelle Kunst – viele Filme und Tonaufzeichnungen entstanden in Sachsen abseits einer großen Öffentlichkeit. „Der bewahrte Blick – Film- und Tonschätze aus Sachsen“ widmet sich diesem oft übersehenen Kino des Alltäglichen und Beiläufigen. Teure Stars haben diese Werke nicht zu bieten, dafür lassen sie unsere eigene Vergangenheit lebendig werden. Sie ermöglichen einen unverstellten, zuweilen unterhaltsamen Blick auf unsere Nachbarschaft und die Welt.
Die Beschäftigung mit diesem historischen Material gleicht einer Schatzsuche: Viele Filmdosen sind nicht oder nur spärlich beschriftet. Digitalisiert sind Personen und Begebenheiten zwar wieder zu sehen und zu hören, aber sie geben Rätsel auf. Wer grüßt 1938 mit einem Sprechbrief auf Schallplatte seine geliebte Mutter aus dem Ötztal? Was nimmt ein Dresdner 1973 in Tokio genau in den Blick? Die Ausstellung gibt an ihr Publikum jene Faszination weiter, die mit dieser ersten Begegnung mit Bildern und Klängen der Vergangenheit einhergeht. Denn anders als die „großen” Bilder des Spielfilms denken die „kleinen” Filme unseren Blick nicht immer mit. Umso mehr lohnt es sich, ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken.
Aus 40 Sammlungen wurden Klänge und Bewegtbilder im Rahmen des Landesprogramms „Sicherung des audio-visuellen Erbes in Sachsen“ (SAVE) bislang digitalisiert. In Zusammenarbeit mit dem Filmverband Sachsen konnten so bereits über 85.000 Spielminuten bzw. 1.900 Filmrollen, Ton- und Videobänder mit einem Datenvolumen von 95 Terabyte wieder zugänglich gemacht werden. Die Ausstellung lädt dazu ein, deren Vielfalt zu entdecken ebenso wie das filigrane Handwerkszeug und aus heutiger Sicht ungewöhnliche Material, das Film- und Tonenthusiast:innen in den letzten einhundert Jahren verwendet haben.
Von Festumzug bis Reisegruß: Das wird gezeigt
Zu sehen und zu hören gibt es Aufnahmen aus vielfältigen Entstehungskontexten sowie aus unterschiedlichen Regionen Sachsens.
Aufnahmen von Festumzügen aus Marienberg, Tharandt, Lichtenstein oder Bautzen, die in den jeweiligen Stadtarchiven lagern, ermöglichen einen lebendigen Zugang zu Formen der städtischen Repräsentation und dokumentieren häufig eine nicht länger erhaltene Stadtgestaltung. Eine spezielle Ausstellungsinstallation zeigt einen scheinbar endlosen Stadtumzug. Mit Filmausschnitten über Festumzüge aus 100 Jahren und aus verschiedenen Orten macht die Ausstellung den Wandel in der Bürgerschaft, ihrer Mode, ihres lokalen Gewerbes, aber auch ihrer politischen Vereinnahmung deutlich.
Das Medium Film diente immer wieder als Nachrichtenformat: So hat das Heimatmuseum Geithain der SLUB Dresden Filmrollen aus den 1960er Jahren zur Verfügung gestellt, darunter den so genannten „Geithainer Rundblick“, der von lokalen Filmemachern produziert wurde. Dieses besondere monatliche Kino-Magazin berichtete über Ereignisse in den kleinen Orten des gesamten Landkreises und wurde auch in den Landkinos vorgeführt. Die große Bedeutung des Wissens um die eigene Region vermitteln in der Ausstellung exemplarisch für ein ungemein breites Netz an Lokalfernsehanstalten in Sachsen die Sendungen von Dresden Fernsehen aus den 1990er Jahren mit unmittelbaren Eindrücken der Wendezeit und ihrer tiefgreifenden Wandlungsprozesse.
Historisch einmalig sind auch die Tourneeaufnahmen der Sächsischen Staatsapelle Dresden aus Familienbesitz: Von 1955 bis 1983 nahm der Solobratschist Alfred Schindler auf Dutzenden Konzerttourneen mit einer Handkamera Schmalfilme auf, die ein authentisches Bild der damaligen Kapellreisen zeichnen. Gerade die Bilder aus dem nicht-sozialistischen Ausland dürften in Dresden in Schindlers privatem Umfeld mit besonderer Neugier aufgenommen worden sein.
Mit Tonaufzeichnungen auf sogenannten Selbstschnittfolien widmet sich die Ausstellung einem faszinierenden, aber weitgehend vergessenen Medium. Bis Anfang der 1950er Jahre wurde vor der Verbreitung des Tonbands dieses Format im Heimbereich genutzt, um mittels „Sprechbrief“ Grußbotschaften mit eigener Stimme an entfernt lebende Verwandte zu schicken. Es bot zudem die Möglichkeit für Aufnahmen im Kreis der Familie oder für Mitschnitte beliebter Melodien aus dem Rundfunk und ist somit ein Vorläufer des späteren „Mixtapes“ wie auch der heutigen Voice-Mail. In der Schatzkammer der SLUB Dresden ist eine dieser Selbstschnittplatten zu sehen, gemeinsam mit weiteren historischen Film- und Tonträgern vom selbst gebauten Mikrofon bis zur Schmalfilmkamera.
Alle Fotos auf dieser Seite: Anne Lippert