Sterben und Lebensbewältigung
Im 16. Jahrhundert herrschte der Glaube vor, dass im Falle des Begehens einer Todsünde, diese nach dem Tod mit dem Fegefeuer, einem Prozess der Läuterung, bestraft werden würde. Wenn man sich im Leben einem guten Christenleben gewidmet hat, würde man Einlass ins Himmelreich finden, anderenfalls aber in der Hölle landen.
Das „richtige“ Sterben im Sinne einer ars moriendi (= die Kunst vom Sterben) nahm als eine rituelle Übergangshandlung im Diskurs um christliche Normenhorizonte im Zuge der Reformation eine zentrale Rolle ein.
Die Sterbebüchlein von Luther und anderen Reformatoren dienten zur Seelsorge von Sterbenden und fokussierten sich dabei vor allem auf eine Passionsmeditation, um durch das Leiden Christi das eigene Leiden leichter zu machen. Auch wenn sie damit Trost für die Sterbenden boten, waren die ars moriendi-Schriften gleichzeitig eine Ermahnung an die Lebenden und die Art und Weise ein christliches Leben zu führen.
[...] von der Bereytu[n]g zum Sterben
Martin Luther: Eyn Sermon von der Bereytu[n]g zum Sterben. Wittenbergk: Johann Rhau-Grunenberg, 1519. Signatur: Hist.eccl.E.296,28
Maße: 18,5 x 14 cm
Digitalisat in den Digitalen Sammlungen.
Luther schreibt, damit es nach dem Tod eines Verwandten keinen Streit unter den Hinterbliebenen gebe, sei es wichtig, seinen materiellen Nachlass zu ordnen. Aber genausowichtig sei es, geistliche Abbitte zu leisten. Dazu gehöre, anderen Menschen und sich selbst zu vergeben, sich bewusst zu werden, warum der Tod uns Menschen ängstigt und alle Kraft in den Glauben zu legen bzw. alle Kräfte aus dem Glauben zu aktivieren.
Ob man fur dem sterben fliehen muge
Martin Luther: Ob man fur dem sterben fliehen muge. Wittemberg: Hans Lufft, 1527. Signatur: Hist.eccl.E.299,18
Maße: 18 x 14,5 cm
Digitalisat in den Digitalen Sammlungen.
Luther reagiert in dieser Flugschrift auf die Frage des Breslauer Pfarrherrn Johannes Hess, ob es sich zieme, den Tod zu fürchten und vor ihm zu fliehen. Der Wittenberger antwortet damit, dass man ohne Zögern die gerechte Strafe Gottes empfangen möge, anderenfalls wäre es "Unrecht" und Missglauben an Gott“ und an den Personen, denen
man noch im Tod verpflichtet sei. Tue man jedoch bei seiner Flucht vor dem Tod weder Gott noch einem anderen Unrecht, so sei es nicht verwerflich, sein Leben zu retten, wenn man denn kann.
[...] über die frag, Ob auch yemandt, on glaubñ verstorben, selig werden müg
Martin Luther: Ain Sendbrieff …, über die frag, Ob auch yemandt, on glaubñ verstorben, selig werden müg. [Augsburg]: [Silvan Otmar], 1523 Signatur: Hist.eccl.E.298,4 Maße: 17 x 14 cm
Auf die Frage von Graf Albrecht VII. von Mansfeld (1480–1560), der Unterstützer der Reformation war, ob auch Ungläubige erlöst werden können, antwortet Luther mit einer Warnung. Es sei eine gefährliche Frage, für die verständigen Menschen, doch eine wichtige für jene, die „vorsichtig im Glauben sind“. Denn Gott wolle zwar, dass alle Menschen selig werden (1 Tim 2,4), doch erlöse er nur jene, die an ihn glauben (Hebr 11,6; Joh 3,18).
Ein Widderruff vom Fegefeur
Martin Luther: Ein Widderruff vom Fegefeur. Wittemberg: Georg Rhaw, 1530
Signatur: Hist.eccl.E.310,22
Maße: 17 x 14 cm
Luther greift einmal mehr die „Sophisten“ (gemeint ist die römische Kirche) und deren Auslegung des 1. Makkabäerbuchs an. Er bezeichnet Interpretationen, die sich auf das Fegefeuer beziehen, als Lügen, die sie beim Ablasshandel zugunsten ihres Gottes „Mammon“ missbrauchen.
„So ziehens die Papisten auffs fegfewr / denn sie achten der aufferstehung nicht so gros / als der zwelff tausend drachmas /die gleissen fur jren augen mer / denn aufferstehen und ewiges leben dazu."
Underrichtung van der begreffnisse godtloser lüde
Johann Aepinus: Underrichtung van der begreffnisse godtloser lüde. Lübeck: Richolff, 1547. Signatur: Hist.eccl.E.230,14
Johannes Aepinus, Schüler von Martin Luther und Philipp Melanchthon, war nach 1520 vor allem in Brandenburg und Norddeutschland tätig. Aepinus argumentiert in dieser Flugschrift, dass „Gottlose“ nicht mit den gleichen Psaltern und Zeremonien wie Christen begraben werden sollen. Der Text gliedert sich in Abschnitte, in denen je eine Bibelstelle diese Forderung unterstützt. Die hier gezeigte mittelniederdeutsche Schrift erschien ein Jahr nach Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges.
Vor Luther: Das Blockbuch von der Ars Moriendi
Ars moriendi [Kunst des Sterbens]. [Köln]: [Nicolaus Götz] 1475. Signatur: Ink.498.2
Digitalisat in den Digitalen Sammlungen.
Dieses Blockbuch (d.h. auch jede Textseite ist ein Holzschnitt) von der „Kunst des Sterbens“ ist ein Zeugnis spätmittelalterlicher Erbauungsliteratur. Gezeigt wird der Widerstreit von Teufeln und Heiligen um die Seele eines Sterbenden. Seiner Todesstunde gehen fünf Versuchungen voraus: zum Irrglauben, zur Verzweiflung, Ungeduld, Eitelkeit und zum Geiz. Im letzten Bild reicht ein Mönch dem Sterbenden eine Kerze, Heilige stehen ihm bei, und Engel holen seine Seele in den Himmel. Die Dämonen unten sind umgeben von fünf Spruchbändern:
Spes nobis nulla (Uns bleibt keine Hoffnung)
Animam amisimus (Wir haben [seine] Seele verloren)
Heu insanio (Ach weh, ich rase!)
Furore consumor (Ich werde durch Zorn verzehrt)
Confusi sumus (Wir sind vernichtet worden).
Die Vorlage für die Holzschnitte bildet eine um 1450 entstandene Kupferstichfolge des Meisters E. S. sowie deren zahlreiche Kopien aus dem niederländischen Raum.